Samstag, 8. Dezember 2012

Carl Ferdinand Stelzner: Porträt Harro Harring, Hamburg 1848


Carl Ferdinand Stelzner: Porträt von Harro Harring, Hamburg 1848.
Daguerreotypie, in einem zeitgenössischen samtbezogenen Holzrahmen mit handgefertigtem Passepartout der Buchbinderei May aus Rendsburg.
Provenienz: Flohmark in Kiel; seit Anfang der 1970er Jahre im Besitz von Gerti Fietzek, Kiel/Berlin; seit 2009 Sammlung Heinz-Werner Lawo, Berlin; 2009 versteigert beim Auktionshaus Bassenge, Berlin; Sammlung Dietmar Siegert, München; seit 2014 im Münchner Stadtmuseum durch den Ankauf der Sammlung Dietmar Siegert.

Die Geschichte muss hier einfach mal erscheinen: Als Teenager kaufte Gerti Fietzek mit dem, ihr bis heute eigenen, sicheren Blick für Qualität auf einem Flohmarkt in Kiel "für 'ne Mark oder so" die hier vorgestellte Daguerreotypie. Es ging ihr nicht um das Alter der Fotografie. Weder der Fotograf noch der Dargestellte waren ihr oder dem Verkäufer bekannt und die Rahmung, ohne irgendeine Beschriftung, gab auch keinen Hinweis auf etwas Bedeutendes. 
Was Gerti Fietzek als Teenager an dieser Fotografie faszinierte, waren die schönen Hände des verwegen aussehenden Typs. Markante, kräftige Hände mit schlanken, gepflegten Fingern, die wohl fest zupacken könnten, hier aber sehr eitel und überdeutlich beringt, mit Messer und Pistole eher vorsichtig spielen. Die Linke hält das Heft des langen Messers nicht wirklich in der Hand. Daumen und Zeigefinger vergewissern sich nur, dass es für den Notfall da ist. Eine gewisse Ängstlichkeit oder Unbeholfenheit drückt diese Geste schon aus. Die mit dem Daumen im Gürtel eingehakte rechte Hand dagegen signalisiert: Ich bin bedeutend, ich bin attraktiv, ich habe viele Abenteuer erlebt und wehe dem, der das bezweifelt. Schon klar, dass sich die Fantasien einer jungen Frau daran entzünden können. Ihr Titel für das Bild war denn auch schnell gefunden: Der schöne Pirat. Damit wurde er zum Vorbild für Burt Lancaster in Der rote Korsar und Johnny Depp in Fluch der Karibik.
Jahrzehnte verbrachte Der schöne Pirat in Schubladen und wurde als Schatz gehütet, bis er dann in Form einer kompensierenden Liebesgabe auf mich kam, weil bestimmte Fotografien, entgegen meiner früheren Geringschätzung, doch zu einem zentralen Thema für mich geworden waren, während diese eine Fotografie, unter den vielen sich vermehrenden Büchern bei ihr, zum Solitär verkommen war.

Mit Daguerreotypien hatte ich mich noch nicht beschäftigt. Deshalb machte ich mich zunächst sachkundig, erfuhr von der besonderen Empfindlichkeit der Oberfläche für Berührungen und Umwelteinflüsse und dachte erst einmal nach. Zwei Aspekt waren zu bedenken: Ersten hatte sich die Daguerreotypie gelockert und saß nicht mehr fest im Rahmen. Zweitens war die Rückseite zwar noch original verklebt, aber es waren kleine Risse im Papier an den inneren Rahmenkanten entstanden. Die dauerhafte Sicherung der eingeschlossenen Daguerreotypie stand also gegen die Bewahrung der insgesamt vorgefundenen historischen Substanz. Ich entschied mich für eine Dokumentation der beschädigten Rückseite und öffnete sie dann vorsichtig am Rand der Rahmung.

Im Inneren fand ich dann die eigentliche Überraschung. Zum Schutz der am Passepartout verklebten Daguerreotypie vor dem Kontakt mit den kleinen Nägeln im Rahmen hatte man die ursprüngliche, rückseitige Pappe der ersten Einfassung als Abstandshalter verwendet. Darauf befand sich ein kleiner Aufkleber eines Herrn "May, Buchbinder in Rendsburg" und die Bleistiftbeschriftung "1848 Daguerreotypirt."
Wegen des Kieler Fundorts und der Erwähnung von Rendsburg  schloss ich auf einen norddeutschen Entstehungskontext und über das Revolutionsjahr 1848 auf einen Freiheitskämpfer wie Friedrich Hecker, der den Kalabreser-Hut als Symbol der revolutionären Bewegung etablierte. Es waren dann auch die Stichworte "1848, Freiheitskämpfer, Schleswig-Holstein", die mich über die Bildersucher bei Google zu einer kleinen Abbildung führten, die auf der Webseite der Harro Harring Gesellschaft gezeigt wird. Dabei handelte es sich um eine Radierung, die eindeutig nach der mir vorliegenden Daguerreotypie, oder einer ihr sehr ähnlichen zweiten Fotografie gefertigt wurde. Eine Anfrage beim Präsidenten der Harro Harring Gesellschaft, Herrn Prof. Dr. Ulrich Schulte-Wülwer, lieferte die entgültige Bestätigung. Der "schöne Pirat" war tatsächlich Harro Harring, der im März 1848 in Amerika von den revolutionären Bewegungen in Deutschland erfahren hatte und mit dem Wunsch, sich ihr anzuschließen, im Juni in Hamburg ankam. Herr Schulte-Wülwer bekundete als Direktor des Museumsberg Flensburg sofort sein Interesse an einem Ankauf der Daguerreotypie und schlug vor, zur Ermittlung des Kaufpreises ein kleines Gutachten seitens eines Auktionshauses in Berlin einzuholen. So kam ich in Kontakt mit Frau Jennifer Augustyniak und Herrn Elmar F. Heddergott vom Auktionshaus Bassenge. Dort wurde das Porträt von Harro Harring in einer Größenordnung taxiert, die sich weit jenseits der finanziellen Möglichkeiten der Harro Harring Gesellschaft befand. Herr Heddergott, als Experte für Fotografie des 19. Jahrhunderts, konnte die Fotografie sogar eindeutig dem Hamburger Daguerreotypisten Carl Ferdinand Stelzner zuschreiben

Obwohl sich der "schöne Pirat" damit als ein herausragendes Dokument der Zeit- und Fotografiegeschichte entpuppt hatte, blieb das öffentliche Interesse bei der Auktion beschränkt. Das Handelsblatt berichtete daher auch am 22.12.2009: "Symptomatisch ist der letztlich enttäuschende Zuspruch auf die von Bassenge in Berlin moderat getaxte Porträt-Daguerreotypie, die Carl Ferdinand Stelzner 1848 von dem bewaffneten Berufsrevolutionär und Literaten Harro Harring anfertigte. Dieses Motiv eines Kosmopoliten hätte allein schon aus historischen Gründen über Deutschland hinaus auf Interesse stoßen müssen. Tat es aber nicht, auch nicht bei den Museen. In Erscheinung trat einzig die nordfriesische Harring-Gesellschaft, die den literarischen Nachlass des hartgesottenen Schöngeistes verwaltet. Die aber machte dem am Ende siegreichen Münchener Privatsammler (mutmaßlich Dietmar Siegert) keine ernsthafte Konkurrenz; und so fiel für das monumental inszenierte Bildnis schon bei 19.000 Euro der Hammer (Taxe 15.000)."

Glücklicherweise ist Herr Siegert ein kundiger Sammler, der bereitwillig seine Schätze der Öffentlichkeit präsentiert. Harro Harring war schon in der Ausstellung La Bohème – Die Inszenierung des Künstlers in Fotografien des 19. und 20. Jahrhunderts im Kölner Museum Ludwig zu sehen, und zur Zeit befindet er sich zusammen mit anderen Beständen der Sammlung Siegert in der Ausstellung Deutschland in frühen Photographien 1840-1890 im Münchner Stadtmuseum.

Einen Scan der Daguerreotypie aus meiner fotografischen Dokumentation habe ich digital vorsichtig bearbeitet und weitgehend alle Fehlstellen, Staubkörner und Fussel retuschiert. Es ist ein Versuch, sich der ursprünglich vorhandene Bildinformation zu nähern und damit insgesamt eher eine Bildinterpretation als eine Dokumentation des aktuellen Zustands. Das Motiv erscheint dadurch in einer Klarheit, die das Original nicht bietet. Deshalb zeige ich es hier.
... und natürlich wegen der schönen Hände.


Carl Ferdinand Stelzner: Porträt Harro Harring (digital gereinigt)
    


Freitag, 7. Dezember 2012

Heinrich Holste - Der Schacht

Heinrich Holste: Der Schacht, 1924,
Linoleumschnitt 20,0 x 12,2 cm, Blatt 23,0 x 14,5 cm

Titelillustration der ersten Nummer (Blatt 1) der Zeitschift
DER SCHACHT, Blätter zur Einführung in die Vorträge
und für die Mitteilungen der Allgemeinen Volksbildungs-vereinigung "Feierabend", Werne - Bochum.
Leitung: Fritz Wortelkamp.

Heinrich Holste war der erste Bühnenmaler des Stadttheaters Bochum. Über ihn ist so gut wie nichts bekannt. Wer etwas über ihn oder die Volksbildungsvereinigung "Feierabend", die sich in der Gaststätte "Deutsche Flotte" am Hellweg in Bochum-Werne traf, weiß, möge sich bitte bei mir melden.
Ein kräftiges expressionistisches Blatt, das verblüfft, weil es 1924 in Bochum entstanden ist. In der Nähe zur Formensprache von Ernst Luwig Kirchner, oder auch beeinflusst durch die Bühnendekoration des Cabinet des Dr. Caligari von 1920, wird hier im oberen Abschnitt die durch Zechen und Kokereien geprägte Industrielandschaft des Ruhrgebiets dargestellt. Fabriken, eine Abraumhalde, rauchende Schornsteine, ein Förderrad in der Mitte und Kugel-Gasbehälter oder Kühltürme auf der rechten Seite bestimmen die oberirdische Szenerie. Darunter geht der Schacht in die Tiefe zur schwarzen Kohle. In diesem Schacht kauern die Wohnhäuser aus der Bergarbeitersiedlung. Der Schacht ist der Arbeitsort, der Lebensmittelpunkt und die Identität des Bergmanns, an den sich der Volksbildungsverein "Feierabend" mit seinem Kulturprogramm richtet.

Freitag, 12. Oktober 2012

Faking It: Manipulated Photography Before Photoshop



Gestern eröffnete das Metropolitan Museum in New York die Ausstellung Faking It: Manipulated Photography Before Photoshop, die von Mia Fineman kuratiert wurde. Anlässlich dieser Ausstellung präsentiere ich hier eine amerikanische 'Real Photo Postcard' aus der Zeit um 1915 aus meiner Sammlung, von der ich nicht genau sagen kann, ob es sich um eine sehr geschickte Doppelbelichtung oder um eine nachträgliche Fotomontage handelt. Nichts im Bild deutet auf eine der beiden Möglichkeiten hin. Das Foto zeigt jedenfalls keine Zwillinge, sondern zweimal das gleiche Mädchen, en face und im Halbprofil, und das Halbprofil ist auch kein Spiegelbild!
Wegen des großen Hutes erinnert mich diese Fotografie immer an das Maler-und-Modell-Porträt von Henri de Toulouse-Lautrec das Maurice Guibert um 1900 gefertigt hat, und das in der Ausstellung gezeigt wird.
Weiter Trickphotographien aus meiner Sammlung HIER.

Mittwoch, 3. Oktober 2012

Schnell-Photo von A. Wertheim - Soldat mit Zwirbelbart

Foto 48 x 32 mm
„Vor allem bei WERTHEIM Leipzigerstraße gab es nichts, was es nicht gab – mit allen Mitteln versuchte die Geschäfts- leitung, die Kunden zufrieden zu stellen, was sich auch auf das Angebot im „PHOTOGRAPHISCHEN ATELIER“ und auf die Abteilung mit Fotoartikeln auswirkte. Obwohl auch HERMANN TIETZ versuchte, eine ähnliche Geschäftsidee zu entwickeln, konnten andere Warenhäuser mit dem Konkurrenten Wertheim kaum mithalten. Neben den gebräuchlichen Formaten in verschiedenen Ausführungen stellte das Atelier Wertheim u.a. kleine Schnellfotografien für Ausweise und Erinnerungspostkarten her, daneben Drucke verschiedenster Art und Fotografien im Sonderformat, beispielsweise in Lebensgröße.“
Jeanne R. Rehnig: „Fotografie für alle! Berliner Warenhausfotoateliers 1893 – 1933“, in: Fotografien vom Alltag – Fotografieren als Alltag, Irene Ziehe,Ulrich Hägele (Hg.), Lit Verlag, Münster 2004, S. 199-216, hier S. 202

Ein getreuer Untertan von Wilhelm II., der seinem offensichtlichem Vorbild, mit dem er ohnehin eine gewisse Ähnlichkeit hat, auch in der Barttracht folgt, hat hier das Angebot der A. Wertheim GmbH angenommen. Ganz der Staatsmann schaut er nicht in die Kamera sondern in eine unbestimmte Ferne, die sich später konkret als Elend im Schützengraben erweisen wird.
     

Dienstag, 2. Oktober 2012

1. Nachtrag zur Daguerreotypie von Joh. Richter: Vaters Vater Stoldt

Mettlacher Steinzeug, Entwurf 1844

Es kann hier von einem sehr erfreulichen ‚interdisziplinären‘ Forschungsergebnis berichten werden, das die Veröffentlichung der beiden Daguerreotypien von Joh. Richter auf der Internetseite von Jochen Voigt daguerreotype-gallery.de und in diesem Blog ausgelöst hat. Ein zentrales Motiv meines ersten Berichtes dort war die abgebildete Vase, die die Zuschreibung des Porträts von Großvater Stoldt an Joh. Richter erst möglich gemacht hatte.
Ein Helmut W., Sammler von Daguerreotypien, hatte eine Vermutung und benachrichtigte Horst Barbian, einen Freund und Kenner von Mettlacher Steinzeug. Der ging der Sache auf den Grund und hat erste Ergebnisse gerade im Mitteilungsblatt der Mettlacher Steinzeugsammler e.V. veröffentlicht ("Bitte recht freundlich! Mettlacher Steinzeug als Dekorationsobjekte in frühen Photographien um 1850", in: Mettlacher Turm, Nr. 108, September 2012, S. 10-11). Bei der Vase handelt es sich nach Barbian „um ein 1844, von Ludwig Foltz, für Villeroy & Boch entworfenes Modell, das in der späteren Steinzeugproduktion von Mettlach die Modellnummer 11 erhielt“. Barbian präsentiert auch gleich die Abbildung einer erhaltenen, direkt vergleichbaren Vase. Hier ist das florale Dekor zwar silbrig gefasst, aber die Form und die Reliefs scheinen identisch zu sein. Ein weiteres vergleichbares Stück, mit einem tanzenden Paar als zentralem Relief, wurde am 16. Mai 2010 in Amerika von der Four Seasons Auction Gallery, 4010 Nine McFarland Rd., Alpharetta, GA 30004, versteigert (Lot 11, Vilroy & Boch Mettlach German Cameo Vase, 1836-1855). Was ich auf der Grundlage der Daguerreotypie zunächst als „männliche Masken“ unterhalb der Henkel identifiziert hatte, sind in Wahrheit Darstellungen von bäuerlich gekleideten Männern, die auf ihren Schultern, wie Atlanten, mit gebeugtem Oberkörper scheinbar den unteren Henkelansatz tragen. In Gegensatz zu diesem architektonischen Motiv des Tragen und Lastens zeigen die zentralen Reliefs mit wehenden Gewändern tänzerische Leichtigkeit. Vielleicht spielt diese Opposition direkt auf die feste Form und den flüchtigen Inhalt einer Vase an.
Inspiriert von diesen zeitgenössischen, frühen fotografischen Dokumentationen von Keramik recherchierte Barbian weiter und konnte gleich eine Reihe weiterer Dekorationsobjekte in Daguerreotypien, insbesondere aus der Sammlung Hermann Krone in der TU Dresden als Mettlacher Steinzeug identifizieren. Verlängert man diese Ansätze in die Zukunft scheint mir hier ein sehr fruchtbarer Informationsaustausch zwischen Forschern zur Keramik und solchen zur Fotografie möglich, der in beiden Richtungen zu ganz neuen Erkenntnissen und Zuschreibungen führen wird.
Ich danke Ulrich Linnemann, der den Kontakt zu Horst Barbian vermittelte.

Donnerstag, 30. August 2012

Daguerreotypie von Joh. Richter "Vaters Vater Stoldt" 1858


Passepartout aus grüngrauem Papier, schwarz und goldfarben bedruckt, ca. 13,5 x 11,0 cm,
Bildausschnitt: 7,3 x 6,1 cm, Holzrahmen: 19,5 x 17,0 x 2,0 cm.
Provenienz: aus dem Nachlass einer norddeutschen Privatsammlung.

Das Glas der ursprünglichen Einfassung ist noch erhalten. Die alte Rückseite und Aufhängung dagegen ging wohl bei der späteren Einrahmung verloren. Auf der Rückseite dieser Holzrahmung ist der Dargestellte in Bleistift bezeichnet als „Vaters Vater Stoldt“ und von gleicher Hand auf 1858 datiert. Die Beschriftung erfolgte also ein oder zwei Generationen später, wahrscheinlich durch einen Enkel.

Porträt von Flecken und Kratzern digital gereinigt
Dreiviertelporträt. Der Dargestellte, ein circa dreißigjährige Mann sitzt vor einem gemalten Hintergrund an einem kleinen runden Beistelltisch, auf den er den linken Arm abgelegt hat und auf dem eine leere Vase steht. Die rechte Hand ruht auf dem rechten Oberschenkel. Der Dargestellte ist vollbärtig, die Kopfhaare sind kurz und glatt anliegend, die Schläfenhaare aber gelockt nach vorne gelegt.
Er trägt offen eine zweireihig geknöpfte, wohl schwarze Jacke mit breiten Revers, eine gestreifte dunkle Hose, eine wohl bunte, karierte Weste mit aufgesetzten Tressen, ein weißes Hemd und ein Halstuch, das zu einer Schleife gebunden ist. Er trägt keine Ringe, aber als Schmuck ein kleines, zweigliedriges Perlengehänge an dem einzig sichtbaren Hemdknopf. Eine dünne Kordel, die er um den Hals trägt, ist durch eine Brosche auf Brusthöhe zusammengefasste und verschwindet dann unter der Jacke. An ihr ist wahrscheinlich eine Taschenuhr befestigt, die sich in einer Westentasche befindet. Die prägnante Vase auf dem Tisch erinnert mit ihren aufgesetzten weißen Schmuckelementen auf glattem, matten Grund an Jasperware. Sie ist sechseckig und hatte einmal zwei Henkel, von denen der hintere abgebrochen ist. Der untere Ansatz ist noch vorhanden. Denkt man sich den zweiten Henkel hinzu hatte die Vase die Form einer eckigen Amphore. Am Fuß, am Übergang vom Bauch zum Hals, der ein Korbmuster hat, und am oberen umlaufenden Rand sind florale Elemente zu sehen. Unterhalb des Henkels ist eine männliche Maske. Das seitliche Relief zeigt ein tanzendes Mädchen. Die Tücher ihres Kleides umwehen ihren Körper. Sie steht auf der linken Fußspitze und hält mit beiden Armen über dem Kopf einen Früchtekorb.
Der gemalte Atelierhintergrund zeigt eine Seen- oder Flusslandschaft. Jenseits des Gewässers liegt eine Hügelkette. Diesseits, am linken Rand des Bildes, ist ein steil ansteigender Berghang zu sehen, auf dem ein runder Turm steht. Am rechten Bildrand, weiter im Vordergrund steht eine Kirche mit spitz zulaufendem Turm. Vor der Kirche befindet sich ein Weg oder eine Freifläche und Gebüsch. Zwischen dem gemalten Hintergrund und dem Dargestellten und dem Tisch befindet sich eine reale, niedrige Balustrade mit gekreuzten Elementen, die den Übergang zwischen Bild- und Realraum verschleiert.

Durch die freundliche Hilfe von Jochen Voigt konnte die Daguerreotypie dem Photographen J. Richter zugeschrieben werden. Jochen Voigt erinnerte sich auf Nachfrage an eine andere Aufnahme, bei der die gleiche Vase, und, wie sich dann herausstellte, sogar der gleiche Tisch benutzt wurden. Auf der originalen Rückseite dieser Daguerreotypie, die ein Proträt von Ottomar Schiemann von 1850 zeigt, befindet sich ein ovales Etikett mit der Angabe „DAGUERREOTYP VON J. RICHTER BERLIN.“
Diese Daguerreotypie ist von mir näher beschrieben und besprochen auf der wunderbaren und verdienstvollen Internetseite von May und Jochen Voigt: daguerreotype-gallery.de

Das Porträt von Ottomar Schiemann ist durch seine Tochter zeitnah auf 1850 datiert, das von Großvater Stoldt von einem Enkel auf 1858. Das erste Datum hat eine hohe Glaubwürdigkeit, das zweite kann über zwei Generationen zurückblickend auch nur geschätzt sein. Im Zeitraum zwischen den beiden Aufnahmen ist jedenfalls ein Henkel der Vase abgebrochen. Dass es sich um genau dieselbe Vase handelt, steht außer Frage. Da in beiden Aufnahmen auch der Tisch identisch ist, muss es sich um Requisiten des gleichen Fotografen handeln. Das Porträt von Großvater Stoldt ist also mit Sicherheit auch von J. Richter gefertigt worden.
Über diesen Fotografen ist nicht viel, aber doch einiges bekannt. Fritz Kempe schreibt über J. Richter im Kapitel "Die fotografische Frühzeit in Mecklenburg und Neu-Vorpommern" (S. 173-178) in seinem Buch Daguerreotypie in Deutschland, Vom Charme der frühen Fotografie (Seeburg am Chiemsee, Heering Verlag, 1979). Seine Informationen bezieht Kempe aus den Veröffentlichungen von Wolfgang Baier. In dessen von Kempe im Text angeführten Quellendarstellungen zur Geschichte der Fotografie wird J. Richter aber nicht erwähnt. Der eigentliche Referenzentext ist wohl der Artikel von Wolfgang Baier, "Zur Frühgeschichte der Photographie in Stralsund und Greifswald", in: Greifswald-Stralsunder Jahrbuch, Bd. 3, 1963, S. 179-202. Dort teil Baier mit: „In Stralsund annoncierte der Photograph J. Richter zuerst am 10. Dezember 1850. Er kam, wie er selbst angab, aus Berlin, war 1849, vielleicht auch schon 1848 in Neustrelitz tätig und trat im Frühjahr 1850 in Neubrandenburg auf. Es ist wahrscheinlich, daß er nach seiner Ankunft im Dezember 1850 in Stralsund sich hier für die Dauer niederließ, denn im Dezember 1851 annonciert er wieder unter der Angabe der gleichen Adresse Heilgeiststraße 24. Seine erste Anzeige ist in mancher Hinsicht von Interesse („Strals. Zeitg.“, 10.12.1850, Nr. 288): ‚Lichtbilder. Ein geehrtes Publikum, welches Interesse für Daguerreotypien nimmt und sie zu Weihnachtsgeschenken zu verwenden beabsichtigen, ersuche ich, Ihre Sitzungen, welche in der Tageszeit von 10 bis 2 Uhr auch bei trüber Witterung geschehen, bald zu veranlassen. Der Preis ist für ein Porträt im Normal-Maßstab 1½ Thaler und möchten solche Bilder als zartes Geschenk zu betrachten sein, abgesehen von der Dauer, welche nach chemischen Grundsätzen der der Ölbilder nicht nachsteht. Auf Verlangen werden sie auch ohne Preiserhöhung koloriert gemacht.‘“ (Baier, S. 186)
In seinem Aufsatz „Der Maler-Photograph Wilhelm Bahr“ (in: Bild und Ton, 1963, Heft 4, S. 124-126, Fortsetzung in Heft 5, S. 149-151) verweist Wolfgang Baier (S.125, in Anm. 9) zudem auf eine Anzeige von J. Richter im Wochenblatt für Mecklenburg -Strelitz vom 28. Oktober 1849.
Richter war also zunächst als Wanderdaguerreotypist in Mecklenburg und Berlin unterwegs und dabei auf der Suche nach einer hinreichend großen ‚unbesetzten‘ Stadt, die ihm ein Auskommen dauerhaft sichern sollte und in der er sich niederlassen konnte. In Stralsund war er als erster und besetzt sogleich selbst dieses Einzugs- und Absatzgebiet. Baier berichtet von den Erinnerungen eines anderen Wanderdaguerreotypisten (aus: Photographische Chronik, 1912, S. 81) der vor dem gleichen Problem stand. Besagter Friedrich Wilde besichtigte als reisender Fotograf „mehrere schlesische Städte; in Berlin wurde ihm Frankfurt/O. angeraten, wo ein bereits ansässiger Konkurrent ihm Stralsund empfahl. Doch traf er dort den schon ansässigen Photographen Richter, der ihm sagte, er sei nach 7 Monaten Tätigkeit soweit, daß er hoffe, bescheiden existieren zu können. Wilde wandte sich darauf wieder nach Frankfurt.“ (Baier, S. 187)
Baier schreibt weiter: „ Richter hielt aus, und blieb in Stralsund, hörte nicht auf zu lernen und wandte sich 1853 auch der Papierphotographie zu sowie der Photographie aus Glasplatten. Im Juni 1852 verfügt er bereits über einen ‚Lichtsalon‘, den er sich in einem Eckhause der Baden- und Kleinschmiedstraße eingerichtet hatte (nach einer mehrfach wiederholten Anzeige vom 9. Juni 1852 in der „Strals.Ztg.“). Die Papierphotographie begegnet uns in Stralsund erstmalig in der Anzeige Richters vom 4. November 1853 („Strals. Ztg.“, Nr. 258): ‚Mit dem heutigen Tag eröffne ich neben meinem Daguerreotyp-Geschäft ein Geschäft für photographische Bilder auf Glas und Papier. Da diese Bilder in neuester Zeit so große Vollkommenheit erreicht, so habe ich keine Mühe und Kosten gescheut, auch dem hiesigen und umwohnenden Publikum ebenfalls Gelegenheit zu geben hier solche Bilder zu erlangen, da es nur wenigen Personen möglich war, sich solcher Bilder in Berlin oder anderen großen Städten zu verschaffen. Die Sitzungszeit ist wie beim Daguerreotyp nur wenige Sekunden und zwar jetzt in der Tageszeit von 9 Uhr bis 3 Uhr im eigens dazu konstruierten Lichtsalon, welcher bei kühler Witterung geheizt ist.“ (Baier, S.188)
Baier schreibt weiter: „1855 erbietet sich Richter am 2. Dezember wieder: ,Photographien sowohl auf Papier wie auf Silberplatten (Daguerreotypen), letztere bis zur kleinsten Medaillon-Größe täglich von 9 bis 2 Uhr im geheizten Glassalon anzufertigen.‘ Von dieser Zeit ab verlieren die Daguerreotypien mehr und mehr an Boden. In Anzeigen werden sie nicht mehr erwähnt.“ (Baier, S. 188)
Zum Abschluss dieses Kapitel listet Baier alle Fotografen, die im 19. Jahrhundert in Stralsund tätig waren, sowie den Zeitraum ihrer nachgewiesenen Tätigkeit. In dieser Liste nennt Baier zum ersten und einzigen Male den Vorname von J. Richter: „Julius Richter, 1850 - 1864“ (S. 198). Ulrich Pohlmann übernimmt den Vornamen Julius in einer Anmerkung zur Papierfotografie in: Alois Löcherer: Photographien 1845-1855, München, Schirmer/Mosel, 1998, S. 197, Anm. 8.

Gelistet wird J. Richter auch in: Wilhelm Dost, Die Daguerreotypie in Berlin 1839 - 1860, Berlin, R. Bredow Verlag, 1922: „In diesem Jahr [1846] stellte sich als neuer Daguerreotypist J. Richter, Leipziger Straße 96 ein.“ (S. 94) In der Liste auf S. 112 finden sich die auf Berlin bezogenen Informationen: früheste Feststellung im Dezember 1846, Adresse im Jahr 1850 ist die Leipziger Str. 96 und im Jahr 1853 die Wilhelmstraße 96, „danach nicht mehr“.
Die Angaben von Dost widersprechen den Eintragungen in den Adressbüchern für Berlin. Dort wird der Daguerreotypist Richter nur zweimal im Jahr 1847 in der Leipziger Str. 96 und im Jahr 1850 in der Wilhelmstr. 96, jeweils ohne Nennung eines Vornamens, aufgeführt. Die Adressen und der zeitliche Abstand der beiden Nachweise von drei Jahren stimmen überein. Insofern handelt es sich bei Dost wohl um einen Übertragungsfehler.

Ausschließlich im Jahr 1850 taucht in der fraglichen Zeit in den Berliner Adressbüchern der Nachname Schiemann auf. Genannt wird die Witwe Schiemann, geb. Lindemann in der Splittgerbergasse 4. Die Splittgerbergasse existiert heute nicht mehr, sie war aber nur circa 1,5 Kilometer von der Wilhelmstraße 96 entfernt. Dieses Zusammentreffen bestätigt die Angaben auf der Rückseite des Portraits von Ottomar Schiemann. Diese Aufnahme wurde von J. Richter 1850 in Berlin in der Wilhelmstraße 96 gefertigt. Das Portrait von Großvater Stoldt dagegen entstand einige Jahre später um 1858 in Stralsund, wahrscheinlich im Lichtsalon des Eckhauses in der Baden- und Kleinschmiedstraße.

Zu den bisher veröffentlichten Informationen zu J. Richter kann ich noch folgende hinzufügen: J. Richter war, was Baier nur vermutete, mit Sicherheit ab 1851 in Stralsund ansässig. Er war Mitglied im Literarisch-geselligen Verein zu Stralsund, der im Turnus von zwei Jahren Berichte veröffentlichte. Darin wird Richter als ‚einheimisches Mitglied‘ seit 1851 gelistet, und die penibel geführte Mitgliederstatistik unterscheidet sehr genau zwischen einheimischen und auswärtigen Mitgliedern:
9. Bericht des literarisch-geselligen Vereins zu Stralsund über sein Bestehen während der Jahre 1852 und 1853, Stralsund, in der Löffler´schen Buchhandlung (C. Hingst), 1854
Gelistet in Abteilung 14, Mitglied seit 1851, Nr.166: Richter (J.), Photograph.
10. Bericht des literarisch-geselligen Vereins zu Stralsund über sein Bestehen während der Jahre 1854 und 1855, Stralsund, in der Löffler´schen Buchhandlung (C. Hingst), 1856
Gelistet in Abteilung 14, Mitglied seit 1851, Nr.145: Richter (J.), Photograph.

J. Richter hatte zwei Jahre lang in Stralsund den späteren Berliner Hoffotografen Adolf Halwas als Lehrling und Assistent. Dies folgt aus einer biographische Skizze zum 50-jährigen Berufsjubiläum des Berliner Fotografen in: Photographische Chronik, Band 13, 1906, S. 175: „Bei dem Photographen Richter-Stralsund, in dessen Geschäft er am 3. April 1856 eintrat, lernte der Jubilar die Daguerreotypie und die damals sehr beliebte Panotypie kennen. Von April 1858 an war Halwas in Berlin tätig, (…).“

Im Allgemeinen Wohnungsanzeiger für Stralsund und die Vorstädte für das Jahr 1863, Stralsund, Sandhop, 1862, wird der Fotograf Richter mit der Adresse St. Nicolai-Quartier Nr. 204 angeführt. Auch hier ohne Nennung des Vornamen.

J. Richter war bis zum 5. Mai 1869 Mitglied im Photographischen Verein zu Berlin, der sich 1863 gegründet hatte. Hierzu der Bericht von Hermann Vogel in: Photographische Mittheilungen, Zeitschrift des Vereins zur Förderung der Photographie, Dr. Hermann Vogel (Hrsg.), 6. Jg., Berlin, Verlag von Robert Oppenheim, 1870, S. 62-63: „In der Sitzung des Photographischen Vereins vom 7. Mai meldeten 49 Mitglieder ihren Austritt unter Abgabe der folgenden Erklärung an: Die Unterzeichneten erklären ihren Austritt aus dem Photographischen Verein zu Berlin, weil sie der Ueberzeugung sind, dass die derzeitigen herrschenden Streitigkeiten innerhalb des Vereins die Zwecke desselben nicht zu fördern im Stande sind und das Ende derselben nicht abzusehen sei. Berlin, den 5. Mai 1869.“ Bei dem Streit handelte es sich wohl um die Frage des Beitritts von neuen auswärtigen Mitgliedern zum Photographischen Verein zu Berlin. Einer der Unterzeichner der Austrittserklärung ist J. Richter, ein weiterer Dr. Hermann Vogel, der Herausgeber der Photographischen Mitteilungen und Lehrer der Photographie an der Königlichen Gewerbe-Akademie zu Berlin.
Sechs Tage später am 11. Mai 1869 erfolgt in Abgrenzung zum Photographischen Verein zu Berlin die konstituierende Sitzung des neuen Vereins zur Förderung der Photographie, der eine „wissenschaftliche Tendenz“ haben soll. Man beschließt, der neue Verein soll die gleiche Satzung bekommen wie der alte, nur der Beitritt müsse neu geregelt werden. Bei dem Bericht von der Gründung des neuen Vereins wird J. Richter nicht genannt.

Richter kapselte sich also nicht in der kleinen Hansestadt Stralsund vom Rest der Welt ab. Er hielt engen Kontakt zur technischen Entwicklung und zu den Berufskollegen in der Hauptstadt. Richter ist dann aber doch wieder nach Berlin zurückgezogen. Im Berliner Adressbuch von 1868 wird im „Nachweis sämmtlicher Geschäfts- und Gewerbetreibender“ noch kein Fotograf namens Richter aufgeführt. Aber in der folgenden Ausgabe von 1870 (Ausgabe 1869 fehlt) wird ein J. Richter mit der Adresse Oranienburgerstr. 39 gelistet. Auch in der Mitgliederliste des Vereins zur Förderung der Photographie mit Stand vom Ende September 1870 (veröffentlicht in: Photographische Mitteilungen, 7. Jg., Berlin 1871, S.181) wird ein J. Richter als Berliner Mitglied geführt und als Adresse gleichlautend „Oranienburgerstr. 39“ angegeben. Bis 1868 ist unter dieser Adresse ein Fotograf namens Schnitzer ansässig, von dem Richter vielleicht das Atelier übernommen hat. In den Berliner Adressbüchern ist der Fotograf Richter dann durchgehend ab 1870 bis einschließlich 1890 mit dieser Geschäftsadresse nachgewiesen. Ab 1891 wird er nicht mehr als gewerblicher Fotograf gelistet, sondern nur noch mit der neuen Privatadresse NW, Thurmstr. 25, der die Berufsbezeichnung „Photograph“ beigefügt ist. Ab 1893 bis 1899 lauten die Berufsbezeichnungen „Privatier“ (1893, 1894, 1896, 1897, 1899), „Verwalter“ (1895) oder „Rentier“ (1898). 1900 wird unter dieser Adresse eine „Rentiere“ M. Richter geführt und ab 1901 wohnt keiner namens Richter mehr in der Thurmstr. 25.
Richter hat also wahrscheinlich um 1890 seine berufliche Tätigkeit eingestellt, ist wahrscheinlich um 1900 gestorben, und M. Richter war wohl seine Witwe.

Dazu passt die Information, dass das heute in der Oranienburger Str. 39 vorhandene Haus 1891 errichtet wurde. Der Vorgängerbau, in dem sich das Atelier von Richter befand, musste dafür abgerissen werden. Das wird der konkrete Anlass für Richter gewesen sein, in den Ruhestand zu wechseln.
   
Ich gehe aktuell davon aus, dass es sich bei dem Fotografen J. Richter, der in Berlin zunächst von 1847 bis 1850, und dann zwanzig Jahre später von 1870 bis 1890 aktiv war, um den gleichen J. Richter aus Stralsund handelt, der dort zumindest von 1850 bis 1864 aktiv war. Nachweise eines Fotografen namens J. Richter in Stralsund aus der Zeit nach 1864 liegen mir nicht vor, ebenso wenig wie Nachweise eines zweiten Fotografen gleichen Namens zeitgleich in Berlin. Bei J. Richter handelt es sich zwischen 1847 bis 1891 also jeweils immer um den gleichen Fotografen. Die Kontinuität in der Person schließe ich auch aus seiner Mitgliedschaft im Verein zur Förderung der Photographie. Ich habe darüber keinen eindeutigen Nachweis, aber wenn J. Richter aus dem Vorläuferverein 1869 unter Protest austritt und sich direkt anschließend der neue Verein konstituiert, ist es sehr wahrscheinlich, dass es eben dieser J. Richter ist, der 1870 Mitglied im neuen Verein ist.

Ich konnte nun Cartes de Visite eines Fotografen aus Berlin mit dem Namen Joh. Richter erwerben, dessen "Photographisches Institut" in der Oranienburger Str. Nr. 39 in Berlin war. Dabei muss es sich auch um den besagten J. Richter und Fotografen der oben gezeigten Daguerreotypie handeln.


Der von Wolfgang Baier angegebene Vorname Julius, für den Baier keinen Beleg anführt, ist daher rückblickend wohl falsch. Wenn JOH keine Abkürzung für „Julius Otto Heinrich“ oder dergleichen ist, dann lautet der richtige Vorname von Richter wohl eher Johann oder Johannes.

Es handelt sich bei dem Fotografen J. oder Joh. Richter dagegen nicht um den Autor des Aufsatzes „Zur Geschichte der Photographie“, in: II. Programm der Realschule zu Weimar, Ostern 1861, Weimar, Druck der Hof-Buchdruckerei, 1861 (Vorhanden in der Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Signatur: Art. plast.1187,034). Diese geschichtliche Zusammenfassung der Entwicklung der Fotografie seit Daguerre wurde von dem in Weimar tätigen Reallehrer Dr. J. Richter geschrieben.

Heinz-Werner Lawo, Ende August 2012

Jaka Čop (1911-2002) Lesce - Stol

Slowenien

S/W-Foto, alter Abzug, 21,0 x 17,5 cm, rechts unten auf dem Foto mit Tinte signiert "J. Čop", montiert auf Karton, 33,0 x 27,5, unterhalb der Fotografie bezeichnet in Bleistift mit "Lesce - Stol".
"Stol" ist der slowenische Name für den Hochstuhl, den man im Hintergrund sieht, an der Grenze zwischen Kärnten und Slowenien gelegen. "Lesce" ist das Dorf im Mittelgrund am Fuß des Hochstuhls auf slowenischer Seite.
Der Standort für diese Fotografie und ihr Bildausschnitt ist sehr bewußt gewählt, wie man am Zusammenspiel von Birke und Hintergrund erkennt. Das Geäst bedeckt fast komplett den wolkigen Himmel und die Stämme geben einzelne Bildausschnitte frei. Ein gekonntes Spiel mit der fotografischen Perspektive, das durch den Vergleich des Hochstuhls im Hintergrund links mit dem Maulwurfshügel im Vordergrund rechts eine humoristische Fußnote bekommt. 

Samstag, 9. Juni 2012

Thomas Kapielski: Das Amtsiegel von Ludwig XIV. "Le Sceau Royal"

edition Ä

Thomas Kapielski: Das Amtsiegel von Ludwig XIV. "Le Sceau Royal", 1985/2011.
Das Multiple ist die Replik einer verschollen Version aus dem Jahr 1985 und wurde im
letzten Jahr in der Kunsthalle Göppingen in der Einzelausstellung von Thomas Kapielski
Sezessionistische Heizkörperverkleidungen (6. März - 8. Mai 2011) zum ersten Mal
gezeigt. Danach war es in seiner Ausstellung De Dingsbums non est disputandum in
der Städtischen Galerie Delmenhorst (1. Juli - 4. September 2011) zu sehen.
Als Multiple ist es käuflich zu erwerben bei der edition Ä.

Gerade von Thomas Kapielski in der edition suhrkamp erschienen ist:
Neue Sezessionistische Heizkörperverkleidungen, Berlin, Suhrkamp Verlag, 2012.
Wer sich bei dem Titel des Buches fragt, was denn die 'alten' sezessionistischen Heiz-
körperverkleidungen sein mögen, sei auf den Kunstkatalog von Kapielski verwiesen, 
der im letzten Jahr zu den genannten Ausstellungen erschien. Er wurde herausgegeben
von Werner Meyer (Kunsthalle Göppingen) und Annett Recker (Städtische Galerie 
Delmenhorst) und erschien in der Galerie & Edition Marlene Frei, die Kapielski in
der Ausstellung Sächsische Quadrupels im letzten Herbst in Zürich präsentierte
(24. August - 30. Oktober 2011) und Kapielski als Galeristin vertritt.
 Hier ein Foto der Sezessionistischen Heizkörperverkleidungen von 2011,
wie sie in der Kunsthalle Göppingen
ausgestellt waren. Alte demontierte 
Heizkörper lagen auf Paletten und 
Latten auf dem Boden, während die
Bilder von Kapielski an der Wand 
hingen, oder gegen die Wand gelehnt
auf dem Boden standen, und mit alten
Bettgittern 'verkleidet' waren.
Für mich war es wie eine freundliche 
Aufforderung, sich in der Ausstellung
eben daran zu wärmen.
Im Kunstkatalog begleitet folgender kurzer Text eine Ausstellungsansicht dieser Installation: "Ich stehe meist sehr früh auf, entsprechend früh gehe ich schlafen. Die Nacht ist mir zu bevölkert, und der Wunsch, lange aufbleiben zu düfen, ist in meinem Alter würdelos. Früh schreibe ich paar Stunden, dann lese ich etliche, stückel ein bißchen an Kunststücken rum und warte, bis es vertretbar ist, tagsüber ein Bier trinken und Zeitung lesen zu gehen. Auch langweile ich mich viel. Deshalb stelle ich mir Aufgaben. Kunst oder Aufräumen, Dichten oder Staubsaugen. Oder ich reguliere die Zentralheizungskörper". 

Mittwoch, 30. Mai 2012

Schnell-Photo A. Jandorf & Co., Berlin


Das Schnell-Photo von der A. Wertheim GmbH in Berlin zeigt ein Paar aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, wobei er in einer Uniform abgebildet ist, die ihn als Angehörigen des Roten Kreuzes ausweist.
Dieses Foto wurde in eine entsprechend ausgestanzte und so als Passepartout vorbereitete Postkarte eingesteckt, die bedruckt ist mit der Angabe "Schnell-Photo A. Jandorf & Co., Berlin."


Die Kaufhäuser von Adolf Jandorf, dem Gründer des Kaufhaus des Westens KaDeWe standen in direkter Konkurenz zu denen von A. Wertheim, und deshalb hat diese 'Mariage' von zwei Konkurrenzprodukten einen gewissen eigenen Charme. Es ist zudem der Hinweis darauf, dass möglicherweise auch bei A. Jandorf & Co. ein Fotostudio existierte, das diese Vorläufer des Passbildes herstellte.

Dienstag, 6. März 2012

nach Albrecht Dürer - Feldhase



Lange Zeit hing dieser Feldhase nach Albrecht Dürer in einem Trödelladen, den ich regelmäßig besuche, ausserhalb meiner normalen Reichweite, ganz oben an der Wand. Und jedesmal wenn ich ihn sah, wunderte ich mich darüber, mit welcher Klarheit dieser Kunstdruck sein Motiv präsentierte. Irgendwann bin ich dann aber doch, weil das Wundern nicht nachließ, auf eine Leiter gestiegen und habe mir die Sache angesehen. Und dann war die Sache klar: Das ist gar kein Kunstdruck! Das ist ein sehr gekonntes, feines Aquarell, das einen neuen Liebhaber sucht. Wir verstanden uns sofort.
Dieser angebliche Feldhase von Dürer ist tatsächlich ein Haustier, zumindest ist das Rasenstück weit weg. Ganz Dürer spiegelt sich im Auge des Hasen das Licht, das durch ein Fenster in einen Innenraum fällt. Nicht das übliche dürersche Fensterkreuz - so christlich sind selbst reformierte Hasen nicht - aber eines mit Doppelflügeln. Der Hase hat also nicht nur den Maler, sondern auch die Grenze von drinnen und draußen im Blick und im Auge.
Dear Albertina. Here's looking for you, kid!

Samstag, 3. März 2012

Edizione Alinari - Pferdekopf Medici Riccardi in Florenz

(Edizione Alinari) P.I.N. 2537. FIRENZE-R. Museo Archeologico. Testa di Cavallo. Bronzo antico.
Albuminpapier auf Karton aufgezogen, 25,5 x 18,0 cm, um 1895

(Edizione Alinari) P.I.N. 2538, FIRENZE-R. Museo Archeologico. Testa di Cavallo. Bronzo Antico.
Albuminpapier auf Karton aufgezogen, 23,3 x 18,9 cm, um 1895

Zwei sehr gelungene Aufnahmen des antiken Pferdekopfes aus Bronze im Archäologischen Museum in Florenz. Wenn man sich dazu moderne, farbige, digitale Aufnahmen im Vergleich ansieht (HIER), erkennt man wie aussagekräftig diese gekonnt inszenierten Dokumentationen eines historischen Zustandes sind.
Der Sockel und die die Bronze tragende Plinte wurden zwischenzeitlich ausgetauscht. Damals war die Bronze wohl drehbar gelagert und zum Drehen diente der Knauf vorne an der Plinte. Durch das Auflegen der vielen Hande an der Kante beim Drehen ist der Sockel in der Mitte, rechts oberhalb der Inventarnummer 426 verschmutzt.

Dienstag, 21. Februar 2012

Léon Alfred Vassel - Porträt Ernst Reimer


Léon Alfred Vassel: Porträt Ernst Reimer, 1884
Albuminpapier 13,9 x 10,6 auf beidseitig bedruckter Kabinettkarte 16,5 x 10,7 cm
Blindstempel in der rechten unteren Ecke der Fotografie: "Vassel / Berlin / 1884"
Adresse des Ateliers: Berlin-W., Potsdamer-Str. 34, Eingang Lützow-Str. 91a
Auf der Rückseite handschriftlich: "Ernst Reimer, Berlin, geb. 1830 (Berlin), + 1898 (Jena)".   

Ernst Reimer war Verleger und führte in dritter Generation als Sohn von Georg Ernst Reimer und als Enkel von Georg Andreas Reimer den wissenschaftlich orientierten Georg Reimer Verlag in Berlin. Kurz vor seinem Tod verkaufte er den Verlag an Walter de Gruyter, der zuvor als Volontär im Verlag gearbeitet hatte.
Walter de Gruyter unterzeichnete auch eine Todesanzeige, die als Beilage in Archiv für Geschichte der Philosophie, (Bd. 11 N.F., 1898) erschien: "Ernst Reimer, der Verleger und Mitbegründer unseres Archivs, ist am 19. October nach langjähriger Krankheit in Jena gestorben. Mit ihm verliert unsere Zeitschrift einen warmen, verständnisvollen Freund und Gönner, der solange es ihm vergönnt war an der Spitze der Firma Georg Reimer zu stehen, mit Hingebung und zeitweilig mit grossen Opfern an der immer vollkommeneren Ausgestaltung unseres Unternehmens gearbeitet hat. Seine liebenswürdige Persönlichkeit und ideale Natur liess den Geschäftsmann in ihm vollkommen zurücktreten. So entwickelten sich zwischen ihm und den Autoren seines Verlages freundschaftliche, auf gegenseitigem Vertrauen beruhende Verhältnisse; und auch solche, die ihm ferner standen, hielten es für eine Ehre und Freude unter seiner Fahne der Wissenschaft zu dienen. Ernst Reimer ist erst in vorgerücktem Alter und nicht aus freier Wahl, aus anderem Berufe heraus, seinem Vater Georg zur Seite getreten. Aber er wandelte dann sicher und treu in den Bahnen, die der ehrenfeste Gründer der Firma Georg Andreas ihnen vorangeschritten war. Mit ihm geht einer jener vornehmen Verleger zu Grabe, die in aller Stille und Bescheidenheit wirkend Unermessliches zum Gedeihen unserer Wissenschaft und zur Ehre des deutschen Namens beigetragen haben. Sein Andenken wird bei uns nicht erlöschen, sein Segen möge uns auch auf unseren ferneren Wegen begleiten!"

Ein ausführlicher Nachruf An Ernst Reimer, geschrieben am 30. Oktober 1897, stammt von Rudolf Virchow und erschien in: Archiv für Pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medicin, Bd. 150, 1897, Nr. 2, S. 388-390. Virchow gibt von der Beschriftung der Karte abweichend als Geburtstag den 5. Juli 1833 an. Diese Angabe scheint verlässlicher. Als Todestag nennt Virchow, wie später auch de Gruyter, den 19. Oktober 1897.

Sonntag, 19. Februar 2012

Fred Koch - Spiegelungen: Pelikanol und Hanfpflanzen

Fred Koch: Spiegelung, Pelikanol
S/W-Fotografie, 14,5 x 20,0 cm

Auf der Rückseite befindet sich ein mit Schreibmaschine beschrifteter Aufkleber "Spiegelung, Pelikanol / Folkwang Verlag, Photo: Fred Koch" und vier Stempel: 1.) "Folkwang Verlag / Photo: Fred Koch", 2.) "Das Archiv hat gr. Bestände von: / Kristallen (Mineralien) / Versteinerungen / Pflanzen und Tieren", 3.) "E.F. / Freundeskreis Ernst Fuhrmann", 4.) "Wilhelm Arnholdt / Maschinensetzerei / Hamburg 20, Falkenried 42".
Vor dem zentralen Topf mit Pelikanol, Haltbarer Kleister, sind noch weiter Produkte von Günther Wagner zu sehen: sechs Fläschchen mit Pelikan Ausziehtusche in schwarz, marin und carmin, sowie eine Tube mit Pelikanol. Die Pelikan-Produkte werden zwischen zwei Spiegeln präsentiert, wodurch sich ihre Spiegelungen selbst spiegeln.
Porträts von Personen aus meiner Sammlung in dieser Technik finden sie hier: Uneinsamkeiten

Fred Koch: Spiegelung, Hanfpflanzen
S/W-Fotografie, 14,5 x 20,0 cm

Auf der Rückseite dieser Fotografie befinden sich die gleichen Stempel wie oben und der Aufkleber trägt die Beschriftung "Spiegelung, Hanfpflanzen / Folkwang Verlag, Photo: Fred Koch".
Tatsächlich ist es nur eine Hanfpflanze, aber durch die Spiegelungen erscheinen insgesamt sechs, vom denen fünf nur die Spiegelbilder der einen im Vordergrund sind.
Die Aufnahmen wurden wohl in den 20er Jahren gemacht. Die Abzüge selbst sind möglicherweise später entstanden.

Montag, 30. Januar 2012

Pressefoto: Marcel Duchamp, Munson-Williams-Procter Arts Institute, Utica 1963


Unbekannter Fotograf, unbekannter Fotoredakteur: Marcel Duchamp vor seinem Bild Akt, eine Treppe herabsteigend, Nr. 2 (NU DESCENDANT UN ESCALIER, No. 2).
Überarbeitete Bildtelegrafie (wirephoto) von einem Pressefoto, das im Februar 1963 vor oder bei der Eröffnung der Ausstellung zum 50. Jahrestag der Armory-Show von 1913 im Munson-Williams-Procter Institute, Utica, NY, (17. Februar – 31. März 1963) gefertigt wurde.  
Beschriftung des Pressefotos: "( ADVANCE FOR PMS OF THURSDAY, FEBRUARY 21, UTICA ART SHOW STORY.)"; Größe der Bildtelegrafie: 25,3 x 17,3 cm. Oben links sind Risse im Papier, die mit Klebefilm hinterlegt sind. Die Bildtelegrafie wurde von einem Fotoredakteur überarbeitet, um ein freigestelltes Porträt von Marcel Duchamp zu gewinnen. Der Bereich um den Kopf herum ist grau übermalt. Die rechte Augenbraue, das Nasenloch und die Kontur des Ohres wurde durch Retusche geschwärzt. Der benutzte Bildausschnitt ist durch eingedrückte Rillen im Papier markiert. In die Mitte der Abbildung des Aktes ist mit Fettkreide ein "K" geschrieben. Die Überarbeitung erfolgte wahrscheinlich erst 1968 anläßlich des Todes von Marcel Duchamp. Das so freigestellte Porträt wurde als Illustration für eine entsprechende Notiz in der Chicago Sun-Times vom 6. Oktober 1968 verwendet. Der Artikel ist als Zeitungsausriss auf die Rückseite der Bildtelegrafie geklebt: "Marcel Duchamp is dead. Long live Marcel Duchamp."